Timo Kölling, geboren 1978, ist das bestgehütete Geheimnis der deutschen Gegenwartsliteratur. Alle lesen ihn, aber keiner gibt es zu. In den letzten zwanzig Jahren hat Timo Kölling sich – hauptsächlich als Lyriker und Philosoph – eine große Verborgenheit erschrieben. Tradition und Bruch, Schrift und Rettung, Grenze und Landschaft, Selbstsein und Fremdheit sowie immer wieder das Gehen und das Wandern gehören zu den Themen seiner Dichtung und Deutung.
Von 1995 bis 2000 gab Kölling das englischsprachige Black-Metal-Fanzine »Moondance« heraus. Insbesondere die fünfte und letzte Ausgabe wurde als zentrale Stimme einer Gegenkultur wahrgenommen, die der Kommerzialisierung des Heavy Metals den existentiellen Ernst der Black-Metal-Bewegung der Jahre 1990 bis 1995 entgegensetzte, und für deren ideelle Selbstvergewisserung zunehmend Namen wie Ernst Jünger, Oswald Spengler und Julius Evola wichtig wurden. Die 2014 geschriebene Erzählung »Schwarzmetall« läßt Erinnerungen an jene Zeit anklingen.
Die ersten Bücher, das von Jünger geprägte Tagebuch »Silhouetten im Nebel« (1999/2000) und die von Stefan George beeinflußten Gedichte »Begegnungen in Weiß« (2001), blieben unveröffentlicht, bis im Jahr 2003 der Entschluß erfolgte, als freier Schriftsteller zu leben. Zu diesem Zeitpunkt war das rein weltanschaulich motivierte Schreiben bereits zurückgetreten hinter die Dichtung und hinter das Bedürfnis nach metaphysischer bzw. erkenntnistheoretischer Vertiefung. Von letzterer legt das 2006 veröffentlichte umfangreiche Buch »Tradition und Transzendenz« Zeugnis ab, in dessen Mittelpunkt eine Interpretation von Heideggers Kehre sowie eine fundamentalontologische Lektüre Kants, Hegels, Nietzsches und Husserls stehen. Eine Neufassung dieses Buches ist in Vorbereitung.
Im Jahr 2008 erschien im Königshausen & Neumann Verlag ein Buch über den weitgehend vergessenen christlich-traditionalistischen Philosophen Leopold Ziegler und seinen Einfluß auf die Gebrüder Jünger. Es enthält eine präzise Entschlüsselung von Ernst Jüngers Essay »Der Arbeiter«. Es folgten mehrere Titel im Eisenhut Verlag, unter anderem der Essay »Ernst Jünger und die Nichtvergeßlichkeit« und das Denktagebuch »Exodus Schwarz«. Beide Bücher (und erst recht der auf sie folgende Gedichtband »Die Gabe des Zitterns«) legen auf ihre Weise Zeugnis ab von Köllings zuvor erfolgtem Eintritt in die katholische Kirche: die Konversion hatte am 21. Dezember 2008 in St. Leonhard in Frankfurt am Main in der außerordentlichen (tridentinischen) Form des Römischen Ritus stattgefunden.
2017 konnte, wiederum im Königshausen & Neumann Verlag, nach mehrjähriger Arbeit die Ziegler-Werkgeschichte »Leopold Ziegler, Philosoph der letzten Dinge« erscheinen, die sich zugleich als geschichtsphilosophische Theorie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts versteht. Seither ist Kölling, auf Unabhängigkeit bedacht, zur früheren Praxis zurückgekehrt, seine Bücher im Eigenverlag herauszugeben. Den Anfang machte im Sommer 2017 die Veröffentlichung von »Die Waage im Ungrund oder Aristoteles als konservativer Revolutionär«: ein konzentrierter Traktat auf der Grenze von Philosophiegeschichte und Erkenntnistheorie, Etymologie, Politischer Theologie und Integraler Tradition. Aristoteles wurde zum konservativen Revolutionär des griechischen Denkens, indem er der fallenden Linie der von Parmenides begründeten Ontologie, auf welche sich »das Abendland« gründen sollte, eine ältere Tradition entgegensetzte: die eurasische Gnosis.
Das Zentrum von Köllings Werk aber bildet, in Lyrik und Prosa, die Dichtung. Der aktuelle Gedichtband »Brandung und Geräum« enthält die Selbstaussage dessen, der lieber wandernd unterwegs ist und sich an das Eigene und die Eigenen hält, als an einer gleichgültig gewordenen Öffentlichkeit, einer bereits untergegangenen Kultur teilzunehmen:
»Form, deine:
Fügung, zu dicht im
Sein für
kurze Wege.«
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Selbstauskunft

Ich bin katholischer Christ. Meine »Theologie« ist die in den Kirchenbauten der Romanik festgeschriebene. Meine »Religion« ist die Landschaft zwischen Fritzlar, Magdeburg und Osnabrück, als die romanischen Kirchen aufwuchsen. Viel hat sich nicht verändert seither, und was sich verändert hat, kommt kaum in Betracht. Es gehört der Sphäre des Zufalls an. Man macht hier und da mit, das ist alles. Das Gotische erlebe ich schon als Bruch – daraus folgt alles weitere. Um 1150 wäre ich vielleicht Zisterzienser in Amelungsborn gewesen. Ich liebe das Odfeld, und schon deshalb stelle ich Wilhelm Raabe über Goethe und Schiller. Die heutige Existenz mit alledem in Einklang zu bringen, interessiert mich nicht. Ich glaube nicht an den Einklang, sondern an die Kraft der Dissonanz, an das Bittergefurchte alles Irdischen, an das Wirken der Klarheit, an die Welt als Phantasma und Spiel, an die rechtfertigende Kraft der Liebe. Deshalb halte ich die Verse, die Dante auf seinem Weg zur Himmelskönigin dem hl. Bernhard in den Mund legt, für die wunderbarsten je geschriebenen.
— April 2015
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