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TK | Sommer 2020

Timo Kölling, geboren 1978, ist das bestgehütete Geheimnis der deutschen Gegenwartsliteratur. Alle lesen ihn, aber keiner gibt es zu. In den letzten zwanzig Jahren hat Timo Kölling sich – hauptsächlich als Lyriker und Philosoph – eine große Verborgenheit erschrieben. Tradition und Bruch, Schrift und Rettung, Grenze und Landschaft, Selbstsein und Fremdheit sowie immer wieder das Gehen und das Wandern gehören zu den Themen seiner Dichtung und Deutung.


DAS ZERWIRKTE

Am Ende bleibt nur des Zerwirkten Stand.
Tief eingegraben haben sich die Flüsse.
Der Himmel wächst in der gefurchten Hand,
als ob sie sich in Raum verwandeln müsse:

sie selbst der Fall, den sie verwehrt. Die Risse
sind voller Atem. Steinern sinkt das Land
in etwas, das es selbst erst sein wird. Wisse:
die Landschaft ist dein Name, sie das Band,

das gleich dir selbst ein Opfer ist der Gänger,
die, sich nicht kennend, Hall nur sind der Schritte,
für die du Weg bist. Doch die Zeit ist länger.

Sie stoßen dich zurück in deine Mitte.
Du bist, zerwirkt, nicht Teil des Spiels der Fänger
und lebst nicht in den Spuren ihrer Tritte.


Aus: Brandung und Geräum. Gedichte (2019)

Hercules Seghers: Mountain Valley with Fenced Fields (1625-30)