Stilkunde vor Rauchsäulen

Juli 2025 — Am 2. Juli, dem letzten der Hitzetage, nahm ich den Bus von Saalfeld nach Neuhaus. Die gewohnte Heimfahrt über die Saalfelder Höhe. Zuvor Bibliotheksbesuch in Leipzig und, da es noch früh war, Gang im Saaletal. Überall – auf den Straßen, in der Bahn – die Beobachtung einer nachlassenden Spannung, die die Leute sonst in Schach hält. Bei 36 Grad Celsius wird vieles, was sonst scheints gilt, egal.

Das ist es zwar sowieso. Worum handelt sichs überhaupt? Aber die hohe Lufttemperatur scheint auch der Mehrheit der Passanten die Möglichkeit dieser normalen Empfindung, dieses Realismus einer bloßen Traumwelt zu eröffnen. Ähnlich ist es bei Schnee. Irgendein Druck löst sich auf, die Natur selbst verordnet Urlaub, alles hat Zeit und darf aufgeschoben werden. Aber im Sommer, wenn nach klaren Tagen mit hoher Bläue dann Graues, Diesiges in die nicht nachgeben wollende Hitze sickert, tritt noch – auch dies ein Aspekt des Schönen – eine unbestimmte Katastrophenerwartung hinzu, als könnte jederzeit alles passieren.

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Thüringen-Tage

Anfang Juli 2025 — Um den Monatswechsel in der schönen, kräftigen, beinahe unwirklichen Hitze verschiedene Autofahrten mit D. durch Thüringen. Immer dabei: der feine, kluge Langhaardackel B. (Namen von Freunden kürze ich ab, um ihnen nicht das Gefühl zu geben, »verwertet« zu werden, und um mir selbst nicht als literatenhafter »Verwerter« vorzukommen; — wenn ich aber auf Menschen diese Rücksicht nehme, haben es nicht auch die edlen Tiere verdient?) …

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Einholung des Raums (#2)

28. Juni 2025 — Jetzt beginnt der Vollsommer; schon am frühen Morgen große Hitze, erschlagend und stärkend (beides zugleich). Hinaus, um für ein paar Tage D. in Rudolstadt zu besuchen. Nichts Schöneres, als im »Fremdlings-Reisetritt« von zu Hause loszugehen, in kräftigem, nach Wald und Blumen duftendem Wind. Alles ist in tiefe Bläue getaucht, bei vollkommener Klarheit wie selten; kein Rest von Dunst in der Luft. Hinüber ins Nachbardorf Cursdorf, wo die Bergbahn fährt, und das heißt nun: die Wasserscheide zwischen Horbach und Weißer Schwarza überquerend. Haben wir vorgestern das südöstliche und gestern das nordöstliche Fenster ins Land beschrieben, so öffnet hier sich das westliche. Aber es ist gar kein Fenster, sondern eine freie Höhe vor einer großen Weite; kein Blick in eine kleinräumige Kammer, sondern das Betreten eines Großraums, der indes gleichfalls als ganz in sich abgeschlossen erscheint.

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Einholung des Raums (#1)

27. Juni 2025 — Wenn wir auf die der Schanze vorgelagerte Wiese, das heißt auf die Wasserscheide zwischen Horbach und Deesbach treten, wiederholt sich, jetzt in nordöstlicher Richtung, der Eindruck eines von Berghängen eingerahmten Fensters in die Ferne. Aber wir sind hier nicht nur so weit oben, sondern auch so weit innen im Gebirge, daß die eigentliche Ferne ausgespart bleibt. Sie bleibt ausgespart und ist doch da im Leuchten der Weite des Himmels. Es ist ein Leuchten, das es nur im Hochland gibt. Und das wahrnehmbar ist vielleicht nur im Wissen um die hinter der Horizontlinie liegende Fülle der Gegenden.

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Ante portas

26. Juni 2025 — Die Rückseite des Hauses blickt nach Südosten. Das Grundstück ist leicht geneigt und liegt am Rande eines abschüssigen Bergwiesengeländes, in das sich, kaum hat er sich in den Wiesen gesammelt, der Horbach tief in den Schiefer gräbt. In zwei-, dreihundert Metern Entfernung beginnt der auf steinigem, teils sandigem Boden von Kiefern durchsetzte Fichten- und Tannenwald. Kaum hat der Bach den Wald erreicht, wird die schmale Talkerbe so steil, daß ihr weiterer Verlauf vom Haus aus unsichtbar bleibt. Man blickt an dieser Stelle weit über das Tal hinweg gegen den Rennsteig, und dieses Fenster ins Land ist schön eingerahmt von den Baumwipfeln, die zu beiden Seiten gleichmäßig herabreichen. Es ist dunkles Land: nachts kein Licht. Lediglich hinter dem Hügel zur Rechten ein violetter Schimmer, der auf ein Dorf oder eine Stadt hinweist: das in zehn Kilometern Entfernung gelegene Neuhaus am Rennweg.

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Lebenslauf / Meidung

25. Juni 2025 — »Aufgewachsen dort, wo der Osten Ostwestfalens in den Westen Westostfalens übergeht, verbrachte ich längere Zeit im Norden des Südwestens und wohne nun seit mehreren Jahren im Südwesten Ostthüringens. Als ginge es darum, eine in ihrer Heiligkeit zu meidende Mitte einzukreisen. Die stumme Erkundung dieser Grenzlagen, die immer feinere ertraglose und brotlose Erkenntnis der Grenzen und Übergänge auf Tausenden von Kilometern Fußweg erlaubte es mir …« – »Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber was haben Sie sonst so geleistet?« – »Nein.«

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