
»Zögere nicht! Versäume nichts! Denn vieles geht jetzt unter …«
— Jürgen von der Wense, 1965
Tun, was der Sommer will! Nach längerem Stillstand nutze ich diese Website seit dem 25. Juni 2025 also wieder als Blog.
Manche erinnern sich vielleicht, daß dies schon früher der Fall war. Auf diese Weise entstanden 2011 das Notizheft Exodus Schwarz, von 2013 bis 2015 die Schriftenreihe Herzlandschaft, von 2016 bis 2018 die Fragment-Sammlung Romanische Halle. Auch die Notate des Traumtagebuchs Wir sind die Äußersten waren, bevor sie ein Buch ergaben, in Blogform veröffentlicht worden.
Für das neue Kapitel, 2025 ff., greife ich den Namen Herzlandschaft wieder auf. Im Vordergrund sollen Wander-, Weg- und Ortsbeschreibungen stehen, es wird also eher ein Raum- als ein Tagebuch werden: ein System oder Abbild der Landschaft in subjektiver Färbung.
Dieser Schwerpunkt braucht keine Festlegung zu sein und soll es auch nicht. Das Schöne an einem Netztagebuch ist ja, daß es in völliger Freiheit als »Magazin in eigener Sache« zu dienen vermag. Es können also auch Erlebnisse sonstiger Art beschrieben, Gedanken skizziert, Träume aufgezeichnet, Politisches bemerkt, Gelesenes zitiert, Bücher und Tonträger rezensiert werden – der Möglichkeiten sind viele, der Zwänge keine. Aber der Schwerpunkt soll fühlbar bleiben. (Gegen die Versuchung zu formlosem Geschwätz hoffe ich gewappnet zu sein.)
Für mich ist es auch eine Art Neuanfang. Ja, dieses kitschige Wort erscheint mir angebracht. Denn die letzten vier sehr unkommunikativen Jahre, in denen kaum eine E-Mail gelang (mea culpa!), wären mit einem anderen kitschigen Wort, nämlich »Schreibkrise«, nicht unzutreffend auf den Nenner gebracht. Lediglich den die eigene Schweigsamkeit summierenden Gedichtband Verkennung der Lage hat diese merkwürdige Zwischenepisode gezeitigt. Jetzt also möglichst: Wiedergewöhnung an ein »Schreiben vor Publikum«, Fortsetzung von Begonnenem, Wiederaufgreifen liegengelassener Fäden. Der Komplex AKV (Armut – Krankheit – Verdrossenheit) muß nicht das letzte Wort haben.
Kein älterer Plan ist begraben. »Fortsetzung«, »Wiederaufgreifen«: das bezieht sich zum Beispiel auch auf die stark umgearbeitete, gestraffte Neufassung von Tradition und Transzendenz, auf die der eine oder andere noch warten mag (vielleicht auch niemand). Auch manch anderes ist im Entstehen, wovon ich aber eingedenk der eigenen Langsamkeit besser nichts ankündige.
Das Liegenlassen und Wiederaufgreifen von Fäden betreffend, lese ich in einem Buch über Goethe: »Nie verlor er die in Arbeit befindlichen Texte, abgesehen von denen, die er definitiv aufgab, aus den Augen. Stets trug er sie als ›innere Fragmente‹ mit sich herum. Zu jedem Zeitpunkt konnte er mühelos an den Stellen, wo er einmal aufgehört hatte, unmittelbar weiterarbeiten. Diese Fähigkeit erlaubte es ihm ebenso, unterschiedliche Projekte und Ideen gleichzeitig und durcheinander zu verfolgen.« (Theo Buck: »Der Poet, der sich vollendet«. Goethes Lehr- und Wanderjahre. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 148) — Wie unbedingt vorbildlich! Wie geil, solches zu können! Goethe wird sich diese Fähigkeit eben als Wanderer erworben haben, der er bekanntlich immer geblieben ist: in allen Verhältnissen stets auf die nächste Abwesenheit, auf das nächste Alleinsein auf Reisen sinnend.
Ein Wanderbuch zu verfassen, ist übrigens ein alter und naheliegender Wunsch. Naheliegend deshalb, weil das Zu-Fuß-Gehen – manche Leser wissen es bereits – mir das Selbstverständliche ist. Schon immer gewesen. Und seit ich im Herbst 2019 auf die Höhe des Thüringer Waldes bzw. Thüringer Schiefergebirges gezogen bin, läßt sich das Wandern noch weniger von den alltäglichen Besorgungen trennen als zuvor. Die Landschaftsbeschreibung kann gleich vor der eigenen Haustür beginnen, ja sogar noch im Haus, beim Blick aus den Fenstern. Und sich ausbreiten in alle Himmelsrichtungen, wohin von hier oben, bei den Quellen der Schwarza, der Werra und der Steinach (und ihrer unzähligen kleinen Nebenbäche), die Wasser fließen, auf Elbe, Weser und Main zu.
Bis aus dem Buch-im-Werden erkennbar ein System wird, eine geschriebene Landkarte, wird es dauern. Vielleicht gelingt es nie, vielleicht ist es nur ein Traum. Daß am Ende alles Fragment geblieben sein wird, ist sicher. Höchste Zeit jedenfalls, anzufangen, denn der hier schreibt, ist 47 und kann nicht wissen, wie lange er noch gut zu Fuß ist.
Die Nähe der Aufzeichnungen zu Jürgen von der Wense versteht sich beinahe von selbst. Ich halte sie für unbedenklich, weil Wenses Methode der Landschaftserkundung und -beschreibung noch immer so unüblich zu sein scheint, wie sie es zu seiner Zeit gewesen ist. Auf der Suche nach Internetseiten, die dem eigenen Vorhaben verwandt sein könnten, bin ich jedenfalls nicht fündig geworden. Dabei sind, wie man hört, das Wandern und das Schreiben darüber doch in Mode? Was mich an das Wort von Roland Barthes denken läßt: »Ich schreibe, weil ich von den Worten, die ich vorfinde, keine will: mich entziehend.«
Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, mit dem neuen Blog einen von Eigenart erfüllten Raum zu schaffen, den der eine oder andere Leser gerne besucht.
Timo Kölling, im Sommer 2025